Nutztiere und andere Menschen: Jana Volkmanns „Der beste Tag seit langem“

REZENSION Barbara E. Seidl-Reutz, 10. Oktober 2024

Unser Verhältnis zu Tieren ist komplex. Haustiere wie Hund und Katze werden von Frauchen und Herrchen umhegt und umpflegt. Nicht nur durch Namen wird ihnen eine eigene Identität zugesprochen, auch Blicke und Reaktionen werden vermenschlicht. Dann gibt es eine Reihe von Tieren, die nicht als Haustiere gehalten werden und denen auch kein bestimmter Nutzen zugeschrieben wird, die aber als interessant wahrgenommen und beobachtet werden. Neben weiteren Tierarten, die der menschlichen Unterhaltung dienen, oder jenen, die als Ungeziefer betrachtet und aus verschiedenen Gründen vertrieben, gejagt und getötet werden, gibt es eine Gruppe von Tieren, die als Nutztiere bezeichnet und als Ware angesehen werden. Der Nutzen ergibt sich vor allem aus ihrem Fleisch und ihrer Arbeitskraft.

Eben jenen Nutztieren widmet sich Jana Volkmann in ihrem Roman Der beste Tag seit langem. Allerdings geschieht dies auf schleichende, unauffällige Weise. Zu Beginn des Romans treffen die Ich-Erzählerin Maya und ihre Nichte Cordelia beim Spaziergang auf ein Pferd, das den beiden Frauen schließlich bis zu ihrem Einfamilienhaus folgt, wo es, mehr schlecht als recht hinter einer Hecke versteckt, im Garten ein neues Zuhause findet. Der desolate Zustand des Tieres lässt darauf schließen, dass es sich bei der Stute, die bald auf den Namen Isidora getauft wird, um ein entlaufenes Fiakerpferd handelt. Die neue tierische Mitbewohnerin stellt die beiden Frauen vor eine herausfordernde Aufgabe, zumal keine der beiden Erfahrung mit Tieren und schon gar nicht mit Pferden hat. Schrittweise nimmt Isidora das Leben ihrer Retterinnen in Beschlag: Der Garten verwandelt sich unter ihren Hufen zu einem Morast, im Keller häuft sich das Heu, dessen Halme bald im ganzen Haus verteilt werden. Und auch die beiden Frauen selbst beginnen sich zu verändern. Während sich Cordelia einer Tierrechtsaktivistengruppe anschließt und Schweine in Arbeitsverweigerung und Generalstreik zu unterrichten versucht, wandelt Maya tagträumend durch den Alltag. Daran ändert auch ein aus einem Labor entlaufener Beagle namens Kracherl wenig, den die Erzählerin aufnimmt und der bald zu ihrem wichtigsten Bezugswesen wird. Mayas Ehrgeiz- und Antriebslosigkeit stehen im deutlichen Widerspruch zu den irrwitzigen Aktionen ihrer Nichte. Erst gegen Ende des Romans gelingt es ihr, aus dem eintönigen Alltag auszubrechen.

Auch wenn der Roman aus Mayas Perspektive geschrieben ist, gewinnen die Tiere, allen voran die Fiakerstute Isidora, zunehmend die Überhand. Dabei verwischen die Grenzen zwischen Realität und Satire, sowie zwischen dem Lebensraum der Menschen und jenem der Tiere. Ob der Kampf für die Freiheit von Mensch und Tier am Ende Erfolg hat, bleibt ungewiss. Die Autorin lässt hier viel Spielraum für Interpretation und Vorstellungskraft. Stoff zum Nachdenken über unseren Umgang mit Tieren und Gelegenheit, sich in Jana Volkmanns poetischer Sprache zu verlieren bietet der Roman jedenfalls reichlich.


Zur Autorin:

Jana Volkmann, geboren 1983 in Kassel, hat in Berlin Europäische Literaturen studiert und erste Prosatexte veröffentlicht, seit 2012 lebt und schreibt sie in Wien. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt: „Auwald“ (Roman, Verbrecher Verlag 2020) sowie „Investitions-ruinen“ (Gedichte, Limbus 2021). Für „Auwald“ erhielt sie den Förderpreis des Bremer Literaturpreises 2021 sowie den Reinhard-Priessnitz-Preis 2022. Als Journalistin schreibt sie u. a. für „Der Freitag“, „Tagebuch“ und beschäftigt sich schon länger mit der Frage, ob Tiere arbeiten (müssen). Zuletzt im Residenz Verlag erschienen: „Der beste Tag seit langem“ (2024).

Jana Volkmann, Der beste Tag seit langem. Residenz Verlag 2024, 256 Seiten, (AT) 26 €.

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