„Literatur muss dorthin gehen dürfen, wo es weh tut.“

Foto: Elodie Grethen

Wenn der eigene Körper zum Feindbild wird – In Rhea Krčmářovás Monstrosa nimmt eine Opernsängerin auf der Suche nach fragwürdigen Idealmaßen den Kampf mit ihren eigenen Dämonen auf. Im Interview erzählt die Autorin mehr zu den Hintergründen des Romans und spricht darüber, warum Literatur auch manchmal schmerzhaft sein darf.

Rhea, in der Beschreibung des Buches steht „Schauerroman meets Body Horror“. Nun rührt der dargestellte Body Horror vor allem daher, dass die Protagonistin Isabella so wie die anderen Patient*innen in der psychiatrischen Klinik Probleme mit dem eigenen Körper haben. Das ist leider ein sehr aktuelles Thema. Woher, denkst du, kommt es, dass immer mehr Menschen unglücklich mit ihrem Körper sind?

Wir leben in einer zunehmend visuellen Welt, in der soziale und andere Medien mehr und mehr Druck erzeugen, auf eine gewisse – oft sehr artifizielle und für die meisten Menschen ohne OPS und andere Maßnahmen kaum erreichbare – Art auszusehen. So gilt ein „schönes, schlankes“ Äußeres gerade für Frauen als Statussymbol (nicht erst seit der Erfindung von Instagram, aber der Druck wird immer stärker). Natürlich stecken auch beinharte marktwirtschaftliche Interessen dahinter. Je mehr Unsicherheiten und „Probleme“ man mit seinem Aussehen hat, desto mehr Produkte können einem verkauft werden. Ich finde das unsagbar traurig. Zum ersten Mal in der Geschichte der westlichen Welt könnten Frauen richtig frei sein. Wir können heiraten und lieben, wen wir wollen, uns die Jobs aussuchen, studieren oder nicht … trotzdem verbringen so viele Frauen und Mädchen viel Zeit damit, ihren Körper zu hassen und zu bekämpfen, und Krieg mit dem Essen zu führen (Männer sind zunehmend auch betroffen). 

Die Rolle von Soziale Medien und der damit verbundene Druck von außen werden auch im Roman angedeutet. Hat Isabella tatsächlich Probleme mit ihrem Körper oder sind es vielmehr die Erwartungshaltung von anderen, die zum Problem werden?

Isabellas Probleme mit ihrem Körper beginnen im Außen. Sie wird – wie viele dicke Menschen – schon als Kind auf Diät gesetzt, scheitert – weil praktisch alle Diäten scheitern – und beginnt, sich selbst zu hassen. Ihr Selbsthass wird in einer sehr auf Äußerlichkeiten fokussierten Umgebung noch verstärkt. In einer Gesellschaft, die verschiedenen Körpertypen gegenüber neutraler wäre, würde jemand wie Isabella sich viel leichter annehmen können. Man kann aber zumindest für sich selbst reflektieren, woher diese Probleme kommen und so zu einem besseren Verhältnis zu sich und seinem Körper finden.

Isabella ist Opernsängerin und vor diesem Hintergrund schätzt sie auch den Charakter und die Stimmung ihrer Mitmenschen ein. Was lässt sich durch Musik leichter ausdrücken als durch Sprache? 

Musik erreicht andere Ebenen als Sprache – tiefere, unbewusste Teile der Psyche. Sie kann intuitiver sein, weniger intellektuell … 

Was durch die ungewöhnliche Erzählweise, der Kombination aus Psychodrama mit phantastischen Elementen und der Einteilung in Opernakte, ganz stark rüberkommt, ist die beklemmende Stimmung in der Klinik. Lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass diese Art der Behandlung der falsche Ansatz ist, um Menschen mit Essstörungen zu helfen?

An sich können solche Klinikaufenthalte vielen Menschen wirklich helfen, um wichtige Schritte in Richtung Heilung zu gehen. Die Gefahr der sozialen Ansteckung durch die Mitpatient*innen und somit einer Verschlechterung ist in einem solchen Rahmen aber gerade bei Anorexie und Bulimie definitiv gegeben. Während meiner Recherche ist das Thema immer wieder aufgekommen. Grundsätzlich ist soziale Ansteckung – egal in welchem Rahmen – eine große Gefahr bei Essstörungen. 

Einige Leser*innen haben sehr schockiert reagiert und hätten sich eine Triggerwarnung im Klappentext gewünscht. Wie siehst du das? 

Ich finde, dass ein gut geschriebener Klappentext Warnung genug sein sollte. Das Buch heißt Monstrosa, das Cover ist düster und verspricht Bodyhorror und Essstörungen in einer psychiatrischen Klinik. Warum sollte jemand, dem es tatsächlich nicht gut geht, zu so einem Buch greifen?

Literatur muss dorthin gehen dürfen, wo es weh tut. Das ist schon immer ihre Aufgabe gewesen. Dazu braucht es Leser*innen, die mit schwierigen Texten und Themen umgehen können. 


Rhea Krčmářová (Krtsch-mar-scho-wa) wurde in Prag geboren und wuchs in Wien und Umland auf. Sie studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst Wien und wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Rhea Krčmářová schreibt Prosa, Theatertexte, Libretti, Essays und Gedichte (u.a. auf Instagram), und experimentiert mit transmedialer Kunst, Textkunst und Buchkunst.

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