Gedankenblätter: Blick zurück nach vorn

Kaum zu glauben, dass seit dem Beginn der Ausgangsbeschränkungen schon ein Monat vergangen ist. Genau einen Monat ist es heute auch bereits her, dass Litrobona online ging. So wurde inmitten eines unwirklichen Albtraums ein Traum Wirklichkeit.

Es fällt schwer, die vielen Gedanken und Eindrücke zu beschreiben, die mir in den letzten Wochen durch den Kopf gegangen sind, aber ich fasse mal kurz zusammen: ich bin überwältigt. Und das nicht nur wegen der vielen Klicks, dem breiten Interesse, der Unterstützung und der spontanen Bereitschaft zur Zusammenarbeit, die ich von Freunden und Bekannten, aber auch von vielen lieben, mir noch weitgehend unbekannten, Menschen erlebt habe. Ich bin auch sehr beeindruckt davon, was sich in diesem Monat so alles in der österreichischen Literaturlandschaft getan, verändert und neuformiert hat.

So wurde inmitten eines unwirklichen Albtraums ein Traum Wirklichkeit.

Jeden Tag, wenn ich auf Social Media Seiten recherchiere, freue ich mich über die Solidarität zwischen AutorInnen, Literaturhäusern, Verlagen und Buchhändlern, den Zusammenhalt und die ungebrochene Motivation. So haben viele quasi über Nacht aus der Not eine Tugend gemacht: Wohnzimmerlesungen und Literatur-Streams flimmern uns von allen Seiten auf dem Bildschirm entgegen, Webseiten werden multimedial umgestaltet, YouTube-Kanäle erstellt, Stream-Parties veranstaltet: von ernst bis schräg, queer durch den Gemüsegarten.

Sicher, es ersetzt nicht das reale Zusammenkommen. Weder vom sozialen Austausch (dem Klatsch und Tratsch beim Glaserl Bier oder Wein danach) her, noch was die Einnahmen für AutorInnen und VeranstalterInnen betrifft. Doch vieles ist auch noch ein Lernprozess. So wie der Umstand, dass plötzlich ein viel größeres Publikum erreicht wird. Gerade junge noch relativ unbekannte AutorInnen haben jetzt die Chance, sich über den eigenen Kreis hinaus einen Namen zu machen.

Ich freue mich darauf, wieder den miefigen Geruch der Beisln einzuatmen und die glänzenden Buchrücken in den Regalen der Buchhandlungen zu sehn. Auf eine Zeit, wenn Lesungen in erster Linie wieder dort stattfinden, wo sie stattfinden sollten: auf dicht aneinander gerückten harten Sesseln in Räumen voller Zuhörer, die in Lesepausen sehnsüchtig auf die Weinflaschen hinter dem Signiertisch schielen. Doch ich denke auch, dass einiges, was wir jetzt gerade lernen, eine Bereicherung sein kann. Für die Zeit nach Corona wünsche ich mir, dass wir nicht einfach dort weitermachen, wo wir aufgehört haben, sondern uns ein wenig von der Offenheit und Experimentierfreude bewahren, die sich aus dieser Extremsituation heraus entwickelt hat.


Barbara E. Seidl lebt als freie Autorin und Literaturwissenschaftlerin in Wien. In ihrem Schreiben widmet sie sich den düsteren Seiten des Lebens mit dunklem Humor und spekulativen Fragezeichen. Ihre Geschichten sind bisher in Österreich, Großbritannien, den USA und Russland erschienen. Sie schreibt auf Englisch und auf Deutsch. http://www.beseidl.com

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